Das Humboldt-Tier | Comiczeichner Flix holt das Marsupilami nach Berlin
11.07.2022 16:14 - Andy
Dass der berühmte Naturforscher Alexander von Humboldt Anfang des 20. Jahrhunderts den südamerikanischen Kontinent bereist hat, weiß ja jedes Kind... Durch Venezuela, Kolumbien, Ecuador, Peru, Kuba und Mexiko ist er fünf Jahre lang getingelt, hat den Amazonas durchquert, den 6000 km-hohen Chimborazo bestiegen und Holzkiste um Holzkiste mineralische und andere Funde nach Berlin verschiffen lassen. Funde, von denen selbst heute noch nicht alle ausgewertet sind. Wer weiß, was sich alles noch in den Humboldt-Kisten verbirgt... Vielleicht sogar ein...Marsupilami?
Nach dem gigantischen Erfolg seiner Comic-Hommage Spirou in Berlin aus dem Spirou-Jubiläumsjahr 2018 hat der belgische Verlag Dupuis dem Berliner Comiczeichner Flix wieder freie Hand gelassen für eine neue, deutsche Hommage an eine frankobelgische Comiclegende. Zum 70. Geburtstag des Marsupilami lässt Flix das Comic-Wundertier erst in Palumbien auf einen überkandidelten Alexander von Humboldt treffen und verpflanzt es dann ins Berlin der Weimarer Republik, wo es nicht nur das Naturkundemuseum auf den Kopf stellt...
2018 war das Jubiläumsjahr des sicherlich bekanntesten Pagen der Welt - zum 80. Geburtstag von Spirou wagte der Carlsen Verlag, seit Jahrzehnten der deutsche Verlag von "Spirou und Fantasio", ein verlegerisches Experiment: Spirou in Berlin von Flix sollte zum ersten Mal ein deutschsprachiger Zeichner eine frankobelgische Weltmarke interpretieren dürfen. Dupuis gab Carlsen und Flix grünes Licht. Ob der Verlag aber den Band auch auf Französisch veröffentlichen würde, das würde sich erst zeigen... Es kam aber wie es kommen musste, wenn man ein Erzähltalent vom Flix´schen Kaliber an ein Projekt ranlässt: Spirou in Berlin, der den titelgebenden Helden und seinen Reporterfreund Fantasio auf geheime Mission nach Ost-Berlin in den 1980ern schickte, war ein Instant-Hit! Nur wenig später zog Dupuis nach und holte den Berliner SPIROU auch in den französischen Sprachraum, wo Flix´ Hommage inzwischen Teil des offiziellen Comic-Kanons ist.
”Eigentlich wünschte sich Dupuis einen weiteren Spirou-Band von mir", so Flix. "Das würde ich auch immer noch gerne machen. Aber ich hatte diese Idee für ein Marsupilami-Abenteuer..." Und Dupuis ließ Flix wieder gewähren...
2022 ist wieder ein Jubiläumsjahr - 70 Jahre ist es her, dass Spirou und Fantasio in dem Band "Eine aufregende Erbschaft" von André Franquin auf ein quirliges, über allen Maßen neugieriges und bärenstarkes Tier mit unfassbar langem Schwanz trafen: das Marsupilami! Zum 70. Geburtstag des Marsus darf Flix der weltweit beliebten Comicfigur, die über die Jahre in unzähligen Comicreihen, Animationsserien, Merchandise-Inkarnationen, einem Kinofilm und Computerspielen ihren Auftritt hatte, seinen eigenen Anstrich verpassen.
Sein Marsu-Abenteuer, Das Humboldt-Tier, beginnt 1801: In einem längeren Prolog erleben die Leser*innen einen leicht überdrehten Alexander von Humboldt, der mit einem schwer gebeutelten/beladenen Aimé Bonpland an seiner Seite, André Franquins fiktives Dschungelland Palumbien bereist und sich ausgiebigst bei der heimischen Flora und Fauna für seine Sammlung bedient - darunter auch ein seltsames, gelb-geflecktes Tier mit meterlangem Schwanz. "Humboldt ist schon eine interessante Figur", so Flix. "Wenn man seine Tagebücher liest, dann wirkt er so akribisch preußisch bis zur Selbstaufgabe. Gleichzeitig, so scheint es, findet er sich ziemlich super. Und hält sich für sehr schlau obwohl er viel von dem was er sieht erstmal nicht versteht. Er ist ein Macher. Geht nicht gibt´s nicht. Und dieses Verhalten zu zeigen bietet schon viel Komik. Dazu bei aller wissenschaftlichen Leistung darf man solchen Umgang mit fremden Kulturen durchaus kritisch sehen. Darf man alles mitnehmen, was man findet? Muss alles in Museen? Und wenn ja, in welche?"
Knapp ein Jahrhundert später wacht das Marsupilami im Berliner Naturkundemuseum inmitten von Humboldts Südamerika-Funden auf und findet bei dem Mädchen Mimmi Zuflucht, das es vor Berliner Polizisten, neugierigen Nachbarn und einem fiesen Tierpräparator, der es fürs Museum ausstopfen will, beschützt. Flix ist ein meisterhafter Erzähler, der mit einem besonderen Händchen für Situationskomik und Wortwitz, mit viel Gefühl für seine Figuren und ihr Innenleben und seitenweise neuen Ideen für Panelarchitektur und Comicerzählsprache. Nebenbei erzählt Flix aber auch vom europäischen Kolonialerbe, von Eltern-Kind-Banden, von Freundschaft, Vertrauen und Loslassen...
Und natürlich ist nicht sein Humboldt-Tier nicht nur eine Hommage an André Franquin und sein Marsupilami, sondern auch an seine Wahlheimat Berlin, ihre Geschichte (natürlich auch mit ihren dunklen Facetten) und Kultur. Sein Comic ist voller Zitate und Easter-Eggs - auf Wim Wenders, Erich Kästner, Marlene Dietrich, eo plauen und und und.